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Wissenschaftliche Informationen zur Formel zur Berechnung des Risikos eines nierenersatztherapiepflichtigen Nierenversagens

Die folgenden Informationen richten sich an Ärztinnen/Ärzte und setzen ein grundsätzliches Verständnis zur Funktion der Nieren voraus.  

Die Kidney Failure Risk Equation (KFRE)

Die KFRE wurde von dem kanadischen Nephrologen Navdeep Tangri und seinem Team entwickelt und 2011 veröffentlicht [1]. Sie wurde in vielen unabhängigen Populationen validiert [234], auch in Deutschland [5]. Die Verwendung eines Risikokalkulators zur Risikoabschätzung wie z.B. der KFRE,  wird von der 2024 aktualisierten internationalen KDIGO-Leitlinie, der deutschen Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ und anderen Leitlinien empfohlen. 

Die amerikanische Vorlage für diese Webpage finden sie hier.  

Basierend auf Alter, Geschlecht, eGFR und UACR (Albumin Kreatinin Ratio im Urin)  wird das absolute Risiko für ein nierenersatztherapiepflichtiges Nierenversagen in den nächsten 2 und 5 Jahren vorhergesagt (4-Faktoren Modell). Eine Vorhersage des Risikos ist nur bei einer eGFR ≤ 60 ml/min/1,73 m² und Erwachsenen möglich. Auf der amerikanischen Webseite wird eine Angabe der Region gefordert, auf die hier verzichtet wurde. Es besteht dort ebenfalls die Möglichkeit mit weiteren Laborwerten wie Albumin, Phosphat, venösen Bikarbonat, korrigiertes Kalzium, etc. die Vorhersage etwas zu verbessern. Auf diese Option wird hier verzichtet, weil diese Laborwerte in Deutschland nicht regelmäßig erhoben werden, insbesondere die Bestimmung des venösen Bikarbonats ist unüblich. Die Verbesserung der Vorhersagegüte ist nur minimal.

Vorteil der Risikoabschätzung mit der KFRE gegenüber der KDIGO-Klassifizierung ist, dass Alter und Geschlecht berücksichtigt werden, dass ein zeitlicher Bezugsrahmen gegeben wird und dass das Risiko eines Nierenversagens als absolutes Risiko nachvollziehbar ist. Insbesondere für ältere Menschen, bei denen die Abgrenzung zwischen einer physiologisch abnehmenden eGFR und einer krankheitsbedingten eGFR nicht sicher möglich ist, kann die KFRE zu einer besseren Einschätzung des Risikos führen.

Alternativen zur KFRE

Es wurden bereits viele Risikokalkulatoren zur Abschätzung der Risikoversagens entwickelt. Diese sind aber nur eingeschränkt zur praktischen Nutzung verfügbar [6]. Für Menschen mit chronischer Nierenkrankheit (CKD) und Diabetes steht ein spezieller Risikokalkulator zur Verfügung, Beat DKD (Diabetic Kidney Disease), der in einer deutschen Population validiert wurde [7]. Das Instrument ist nur in Englisch verfügbar und erfordert noch weitere Informationen wie z.B. HbA1c. 

Interpretation der Ergebnisse

Welche Risikoschwelle als bedrohlich empfunden wird oder eine Entscheidung, z.B. für eine Überweisung in die Nephrologie oder die Verordnung bestimmter Medikamente auslösen sollte, unterliegt stark subjektiven und individuellen Faktoren. Es gibt keinen objektiven und allgemein akzeptierten Maßstab ein bestimmtes Risiko als niedrig, mittel oder hoch einzuordnen. Ein absolutes Risiko von 5 % ist bei einem/einer hochbetagten Patient*in im Pflegeheim anderes zu bewerten als bei jüngeren Patient*innen mit einer längeren Lebenserwartung.  Daher macht die Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ keine Angabe zu einer konkreten Risikoschwelle, ab der eine bestimmte Maßnahme erfolgen sollte. Vielmehr soll die Risikoabschätzung Ärzt*innen und Patient*innen unterstützen gemeinsam unter Berücksichtigung der individuellen Faktoren eine informierte Entscheidung zu treffen. 

Eine orientierende Empfehlung ist, bei einer Risikoschätzung von mehr als 3 bis 5 % in den nächsten 5 Jahren eine Überweisung in die Nephrologie zu erwägen. Dazu gibt es in der Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ eine Abbildung als Entscheidungshilfe. Viele Grunderkrankungen der CKD können in der Hausarztpraxis behandelt und überwacht werden.

Bisher gibt es keine Studien, die die Entscheidung für bestimmte Medikamente, z.B. von SGLT2-Hemmern, von der Risikoeinschätzung eines Nierenversagen abhängig machen. In den Studien zur nephroptotektiven Wirkung von SGLT2-Hemmern lag das Risiko für ein Nierenversagen in 2 Jahren zwischen 6-10%.

Allgemeines zur Entwicklung eines Risikokalkulators

Risikokalkulatoren, auch Instrumente oder Risikoscores genannt, zur Abschätzung des Risikos, in diesem Fall eines Nierenversagens, werden aus Beobachtungsstudien (Derivationskohorten) entwickelt. Aus den in den Beobachtungsstudien erhobenen Daten (z.B. Alter, Geschlecht, Nierenfunktion, etc.) können eine oder mehrere Formeln zur Abschätzung des Risikos abgeleitet werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich um eine Schätzung handelt. Andere nicht in der Formel berücksichtige Faktoren, können im Einzelfall für das individuelle Risiko eine größere Rolle spielen. Ein Risikokalkulator sollte nur bei Menschen genutzt werden, die in den wichtigsten Merkmalen mit den Teilnehmern der Beobachtungsstudie übereinstimmen. Für Menschen, z.B. mit bestimmten genetischen Erkrankungen, ist dieser Risikokalkulator evtl. nicht geeignet. Eine der Vorhersagegüte der KFRE bei verschiedenen Nierenkrankheiten, wie z.B. Polyzystischer Nierenkrankheit und Glomerulonephritis zeigte aber auch hier eine gute Diskrimination. [8]

Risikokalkulatoren sollten immer in unabhängigen Beobachtungsstudien validiert sein (Kreuzvalidierung, externe Validierung) [2, 3, 4, 5]. 

Es gibt mehrere Möglichkeiten zu bewerten wie gut ein Risikokalkulator das vorherzusagende Ereignis, hier Nierenversagen in 2 und 5 Jahren, erkennt.

  • Die Diskriminationsfähigkeit wird mit einer ROC-Kurve (receiver operanting characteristic) dargestellt. Die Fläche unter der ROC-Kurve (AUC) wird auch als C-Index bezeichnet und kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Ein Wert nahe 1 weist auf eine gute Diskriminationsfähigkeit hin. Die AUC für die KFRE liegt zwischen 0,88 und 0,91 [3, 4, 5]. Das gilt als sehr guter Wert.
  • Die Vorhersagegenauigkeit der Wahrscheinlichkeitsvorhersage wird mit dem sog. Brier-Score gemessen. Ein niedriger Wert deutet auf eine bessere Vorhersagegenauigkeit hin. In den Validierungsstudien lag der Brier Index bei 0,1 bis 0,2 [2]. Das gilt als sehr guter Wert.
  • Als Kalibrierung wird eine Übereinstimmung zwischen vorhergesagten und beobachteten Werten bezeichnet. Ein Maß dafür ist der Hosmer-Lemeshow-Test. Ein nicht signifikanter Test spricht für eine ausreichende Kalibrierung [2]. 

Literatur

  1. Tangri N, Stevens LA, Griffith J et al. A predictive model for progression of chronic kidney disease to kidney failure. JAMA 2011; 305: 1553–1559
  2. Peeters MJ, van Zuilen AD, van den Brand JA, et al. Validation of the kidney failure risk equation in European CKD patients. Nephrol Dial Transplant. 2013;28(7):1773-9.
  3. Major RW, Shepherd D, Medcalf JF, et al. The Kidney Failure Risk Equation for prediction of end stage renal disease in UK primary care: An external validation and clinical impact projection cohort study. PLoS Med. 2019;16(11):e1002955.
  4. Grams ME, Brunskill NJ, Ballew SH, et al. The Kidney Failure Risk Equation: Evaluation of Novel Input Variables including eGFR Estimated Using the CKD-EPI 2021 Equation in 59 Cohorts. J Am Soc Nephrol. 2023;34(3):482-494.
  5. Lennartz CS, Pickering JW, Seiler-Mußler S, et al. External Validation of the Kidney Failure Risk Equation and Re-Calibration with Addition of Ultrasound Parameters. Clin J Am Soc Nephrol. 2016;11(4):609-15
  6. Zacharias HU, Altenbuchinger M, Schultheiss UT, et al. A Predictive Model for Progression of CKD to Kidney Failure Based on Routine Laboratory Tests. Am J Kidney Dis 2022; 79(2):217-230.e1.
  7. Gregorich M, Kammer M, Heinzel A, et al. Development and Validation of a Prediction Model for Future Estimated Glomerular Filtration Rate in People With Type 2 Diabetes and Chronic Kidney Disease. JAMA Netw Open 2023; 6(4):e231870.
  8. Hundemer GL, Tangri N, Sood MM, Ramsay T, Bugeja A, Brown PA, Clark EG, Biyani M, White CA, Akbari A. Performance of the Kidney Failure Risk Equation by Disease Etiology in Advanced CKD. Clin J Am Soc Nephrol. 2020;15(10):1424-1432.